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Presseartikel

Die weiche Komponente zuerst

Die unterschiedlichen Kabeldurchführungen mit der Materialkombination TPE/PP wurden in einem Familienwerkzeug gespritzt (© Günther)
Um einen flachen Höhenaufbau auf der „Heißen Seite“ zu erreichen, wurden die beiden Verteilersysteme in einem Verteilerblock untergebracht (© Günther)

Günther-Heißkanalsystem für 2K-Anwendung bietet Raum auch in engen Verhältnissen.

Geringer Montageaufwand, eine oftmals kürzere Produktionszeit und eine in der Summe kostengünstigere Teileherstellung sind Gründe, warum das 2K-Spritzgießen bei Hart-Weich-Verbindungen gerne angewendet wird, u.a. bei der Herstellung von Dichtungen, Kabeldurchführungen und Griffen. Soll für die Produktion das Core-Back-Verfahren zum Einsatz kommen, werden die Werkzeugkonstruktion und die Auslegung des Heißkanalsystems jedoch zur Herausforderung.

Eine pfiffige Kombination von Werkstoffen – darin liegt nicht selten die beste Lösung für ein anspruchsvolles Bauteil, um den Produktionsprozess effektiver zu gestalten und den Nutzen des Produkts zu erhöhen. In der Kunststoffverarbeitung sind dies häufig Metall-Kunststoff-Verbunde oder Hart-Weich-Kombinationen. Die in der osthessischen Burgenstadt Schlitz ansässige S & S Werkzeugbau GmbH stellt Werkzeuge und Formen für die Produktion komplexer Kunststoffteile her und hat sich in über 30 Jahren einen Namen bei der Auslegung von Mehrkomponenten-Werkzeugen gemacht. Namhafte deutsche Automobilzulieferer sowie Unternehmen aus der Medizinbranche und der Elektroindustrie zählen zu den Kunden des Familienunternehmens in zweiter Generation. Harald Starch, Geschäftsführer und Leiter der Konstruktion bei S & S Werkzeugbau: „Viele Kunden aus dem Automotive-Bereich kommen auf uns zu, weil wir den Ruf eines 2K-Technologieträgers haben.“

So auch beim aktuellen Projekt der Woco Industrietechnik GmbH, einer weltweit tätigen Unternehmensgruppe aus der Automobilbranche, die Starch als Stammkunden bezeichnet. „Aufgabe war es, ein Werkzeug für eine Kabeldurchführung zu entwickeln und zu bauen.“ Die Teile sollten im Zweikomponenten-Spritzgießen aus der Materialkombination TPE/PP, also einem thermoplastischen Elastomer und Polypropylen, entstehen. Woco Industrietechnik ist als Entwickler und Hersteller anspruchsvoller Komponenten sowie kompletter Baugruppen für den Automobilbau und Industrieanwendungen bekannt.

Seine Funktionslösungen zur Verbesserung von Komfort und Sicherheit in Fahrzeugen, zur Schwingungsminderung sowie zum Abdichten und Trennen gasförmiger und flüssiger Medien im Industriebereich entwickelt das Unternehmen mit dem Fokus auf Polymerwerkstoffe. Der Unternehmensbereich Polymer Automotive konzentriert sich im Speziellen auf Dichtungstechniken. Neben der Entwicklung solcher Komponenten produziert Woco aber auch unternehmensintern Elastomerwerkstoffe mit spezifischen Eigenschaftsprofilen.

Vorteil 2K – wenn man es beherrscht

„Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Woco uns die Werkzeugentwicklung für die Kabeldurchführung überantwortete“, vermutet Starch. „Traditionell kommt der Kunde ja aus der Gummiverarbeitung und fertigt viele Bauteile, bei denen Gummi mit einem anderen Werkstoff kombiniert und umspritzt wird. Da Woco immer auf einen wirtschaftlichen Fertigungsprozess achtet, bei dem das Formteil entsteht, sucht man gezielt Partner, die ein Werkzeug nicht nur einfach nach Vorgaben bauen können, sondern mit ihrem Know-how auch Produktionseffizienz einbringen. Diesen Ruf haben wir uns über die Jahre erarbeitet.“

Das 2K-Spritzgießen ist ein effizienter Prozess, der die Eigenschaften der unterschiedlichen Werkstoffe oftmals noch besser zur Geltung bringt. Die beiden Komponenten werden nacheinander in das Werkzeug eingespritzt, wobei sie sich auf unterschiedliche Art und Weise verbinden können. Der Erfolg der Verbindung hängt von Faktoren wie der Formteilgeometrie und der Kompatibilität der verschiedenen Kunststoffe sowie von den Verarbeitungsparametern ab.

Was aber für Unternehmen wie Woco Industrietechnik am meisten zählt, sind die wirtschaftlichen und logistischen Vorteile. Denn 2K-Spritzgussbauteile werden in einem Fertigungsablauf produziert, sodass kein Aufwand für Montage und Nachbearbeitung entsteht. Zudem sind die unterschiedlichsten Materialkombinationen möglich, die Verbindung zwischen den Materialien ist dauerhafter wie bei einem anderen Fügeverfahren und es lassen sich anspruchsvolle Bauteilanforderungen umsetzen. Einzig die begrenzte Rückstellkraft bei höheren Temperaturen und die Kriechneigung bei größeren Dehnungen sind als Nachteile bei Hart-Weich-Verbindungen zu nennen.

Engpass zwischen den beiden Komponenten

Gerade das Aufbringen einer weichen Schicht aus einem gummiähnlichen Material auf einen harten Träger ist ein häufig angewendetes Verfahren, um eine gewisse Dichtigkeit bei Durchführungen zu erreichen oder die Griffigkeit eines Bauteils zu verbessern. So sind Weichkomponenten auf vielerlei Gegenständen zu finden, vom medizinischen Instrument über Handwerkzeuge bis zu Zahnbürsten oder Dichtungen in technischen Baugruppen. Ein solches Produkt ist auch die Tülle, die zum Schutz von Kabeln oder Zügen bei Karosseriedurchführungen verwendet wird. Im Automobil muss diese Kabeldurchführung ein umfassendes Eigenschaftsprofil erfüllen, was sich auf das Produktdesign und damit auch auf die Werkzeugauslegung auswirkt. In der Projektbesprechung übergab Woco die Artikeldaten an die Konstrukteure von S & S Werkzeugbau, mit der Anforderung, ein 2K-Familienwerkzeug zu fertigen. Produziert werden sollten in einem Schuss jeweils zwei Kabeldurchführungen in zwei verschiedenen Größen.

Durch die Konstellation, dass die Artikel im Core-Back-Verfahren gespritzt werden sollten, war der Abstand zwischen den Anspritzpositionen beider Komponenten sehr eng. „In dem begrenzten Zwischenraum von 35 mm zwischen Hart- und Weichkomponente zwei Heißkanalsysteme zu platzieren, wäre räumlich nicht möglich gewesen“, erläutert Harald Starch. „Zudem war die Möglichkeit, in die Höhe zu bauen, nicht gegeben, da eine geringe Einbauhöhe gefordert war.“

Der bewegliche Kern, der in der Form die Weich von der Hartkomponente trennt, konnte aufgrund der Artikelgestalt nur für die Hartkomponente konstruiert werden. Das bedingt die Reihenfolge, zuerst das TPE, dann das PP einzuspritzen. Die Herausforderung dieser Reihenfolge wurde aufgrund der Erfahrung von S & S als lösbare Aufgabe bewertet. Hätte man es umgedreht machen wollen, wäre ein teureres 2K-Verfahren (Drehteller oder Indexplatte) notwendig gewesen.

Zwei Materialien – ein Verteilerblock

In enger Zusammenarbeit mit Vor-Ort-Gespräch erarbeiteten die Konstrukteure von S & S Werkzeugbau und der Anwendungsberater der Günther Heisskanaltechnik GmbH, Walter Ehlert, eine praktikable Lösung, die einen flachen Aufbau des Werkzeugs ermöglichte, bei der aber gleichzeitig alle Anspritzstellen erreicht werden konnten. Dass die Hartkomponente aufgrund der zwei unterschiedlichen Spritzgewichte, als Kaskade angesteuert werden musste, war obligatorisch. „Die Anwendungsberater von Günther sind tief in der Technik und haben jahrelange Erfahrung im Werkzeugbau und Spritzguss. Gerade bei solchen Problemstellungen ist eine kompetente Beratung unumgänglich“, so Starch.

Mit der Idee, die beiden Verteilersysteme in einen Verteilerblock zu bringen, ließ sich ein sehr flacher Höhenaufbau auf der „Heißen Seite“ umsetzen. „So konnten wir das Werkzeug kompakt halten“, merkt Ehlert an. „Für die Weichkomponente setzen wir nun die Düse 5DTT3-80C-1.0 ein und für die Hartkomponente mit Nadelverschluss die Düse 6NTT3-100LAZ-1.4. Die Länge der Düse für die Weichkomponente beträgt 80 mm und die der Hartkomponente 100 mm. Die Funktion des Düsenkopfes ist in beiden Fällen gleich.“ Die Bauform „TT“ der Heißkanaldüsen (mit Frontmontage) ermöglichte den Konstrukteuren den flachen Höhenaufbau der „Heißen Seite“. Dazu trug auch bei, dass keine Zwischenplatte benötigt wird.

Walter Ehlert dazu: „Unsere frontmontierten Düsen haben den zusätzlichen Vorteil, dass sie eine Barriere zwischen Verteiler und Düsenverkabelung haben und so in puncto Dichtigkeit im System größtmögliche Sicherheit bieten. Der Verteilerraum wird bei der Frontmontage der Düsen zur Düsenverkabelung hin abgeschottet. Die Bauform bietet im Servicefall den Vorteil, dass einzelne Düsen bei Bedarf aus dem Werkzeug entnommen werden können, ohne dass das komplette Heißkanalsystem demontiert werden muss.“ Durchlässe in der Werkzeug-Aufspannplatte ermöglichen es zudem, die Eintauchtiefe der Verschlussnadeln von außen einzeln zu justieren.

Core-Back kombiniert mit der Auswerferfunktion

Die Philosophie von Günther ist, dass man nicht für jeden Anwendungsfall die Komponenten individuell anpassen muss, sondern auf das vorhandene Produktportfolio zurückgreifen kann. Der Kunde hat dann auch im Servicefall schnell Ersatz zur Hand und muss nicht auf eine individuelle Fertigung warten. „Natürlich ist das Verteilerlayout in diesem Fall individuell und für diesen speziellen Fall gefertigt“, erklärt Ehlert. Alle weiteren Komponenten wie Heißkanaldüsen, Anschlussdüsen und Verschlussnadeln sind Standardteile von Günther. Die Hubplatten der Nadelverschlussbetätigungen wurden in diesem Fall von S & S konstruiert und gebaut.

Im Fertigungsprozess wird nun zuerst das TPE über einen Zwischenanguss angespritzt, weil das Artikeldesign keine Direktanspritzung der Weichkomponente zuließ. Im Anschluss wird das PP direkt über das Nadelverschlusssystem kaskadenförmig eingespritzt – kaskadenförmig, weil die 2 unterschiedlichen Gewichte der Hartkomponente gleichzeitig gespritzt werden müssen. „Von der Aufgabenstellung her bereitete uns zum einen die Lage der Heißkanaldüsen beider Komponenten zueinander Kopfzerbrechen, weil sie so eng zusammenliegen“, erklärt Harald Starch. „Zum anderen aber auch das Ansteuern der Kombination Core-Back mit dem Auswerfersystem. Denn wir nutzen den Core-Back ja nicht nur in der Rückzugsfunktion, sondern auch als Auswerfer. Aber wir haben reichlich Erfahrungen mit solchen Aufgabenstellungen“, so Starch weiter.

Heißkanal- und Werkzeugbau-Know-how gefragt

Zukünftig werden in allen Branchen immer mehr 2K-Formteile bzw. Mehrkomponententeile eingesetzt werden. Der Vorteil, einbaufertige Serienteile aus einem Spritzgießwerkzeug zu erhalten, liegt auf der Hand. Besonders im Automobilbau kann dies die Produktivität erhöhen. Wenn, wie in diesem Beispiel, Dichtungen unlösbar und positionsgenau mit dem Strukturteil verbunden werden müssen, dann ist zum einen das Know-how des Werkzeugbauers gefragt und zum anderen ein Lieferant für Heißkanalsysteme, der Verfahrens- und Anwender-Know-how mitbringt, um solche Aufgabenstellungen zu lösen. Denn die immer kürzeren Produktentwicklungszeiten lassen keinen Raum für zeitraubende Iterationsschleifen bei der Suche nach der passenden Lösung.

Der Autor

Dipl-Ing. Horst-Werner Bremmer obliegt die Leitung Anwendungstechnische Beratung und Vertrieb der Günther Heisskanaltechnik GmbH, Frankenberg.

Im Profil

Die S & S Werkzeugbau GmbH wurde 1985 als „Susemichel und Starch Werkzeugbau“ durch Heinz Starch und Walter Susemichel gegründet. 1998 trat Diplom-Ingenieur Harald Starch in das Unternehmen ein. Mit der ersten Konstruktion und Fertigung von zwei Spritzgießwerkzeugen mit 2K-Indexplattentechnik 2008 entwickelt sich diese Technologie zu einer Spezialität des Unternehmens. Heute beträgt der Anteil der 2K-Spritzgießformen mit Indexplatten, Drehtellern oder Core-Back-Technologie über 60% aller Werkzeuge, die der Familienbetrieb produziert.

www.sus-werkzeugbau.de

Über GÜNTHER Heisskanaltechnik

GÜNTHER produziert als Technologieführer im Bereich Heiß- und Kaltkanaltechnik mit mehr als 220 Mitarbeitern innovative und anwenderfreundliche Injektionssysteme für die kunststoff- und silikonverarbeitende Industrie. Zu seinen internationalen Kunden zählen führende Unternehmen der Branchen Automotive, Elektro/Elektronik, Medizintechnik, Verpackung und Konsumgüter.

Core-Back

Beim Core-Back, auch Verbundspritzgießen genannt, werden die unterschiedlichen Materialien in Reihe gespritzt. Nachdem die erste Kavität gefüllt ist, öffnen linear bewegte Sperrelemente den bereits gefüllten zu dem noch ungefüllten Kavitätenbereich. Die Restfüllung des Bauteils erfolgt durch einen weiteren Anguss mit dem zweiten Material. Voraussetzung für das Core-Back-Verfahren ist eine Formteilgeometrie, die es ermöglicht, dass der Hohlraum für die zweite Komponente über eine lineare Kernzugbewegung freigestellt werden kann und dass beide Materialien aneinanderhaften. Aufgrund der Temperaturnähe der beiden Werkstoffe TPE und PP ist hier eine sehr gute Haftung möglich.

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GÜNTHER Heisskanaltechnik GmbH

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